Immer wieder sind wir erstaunt, bei wie vielen Gelegenheiten sich Menschen über ihre Termine beim Zahnarzt unterhalten. Vielleicht fällt uns das auch nur auf, weil wir selbst von diesem Thema betroffen sind. Dann hören wir Aussagen wie den folgenden Satz: „Eure Tochter ist doch noch viel zu jung für den Kieferorthopäden. Erst einmal müssen alle bleibenden Zähne da sein, dann könnt ihr hingehen. Vorher bringt das sowieso nichts.“ Auch hören wir immer wieder, dass manche Zahnärzte ähnlich denken. Aber: das ist falsch! Beginnen wir jedoch zuerst damit, was daran richtig ist.
Viele Behandlungen gehen genau in diesem Alter, nämlich dann, wenn alle bleibenden Zähne da sind, in die entscheidende Phase. Die festsitzende Zahnspange wird eingesetzt und die Zähne werden gerade gerückt. Das funktioniert so aber nicht bei allen Patienten. Manche Patienten benötigen eine Vorbehandlung zum Beispiel weil ihre Kiefer falsch gewachsen sind und vielleicht der Unterkiefer zu weit zurück liegt. Das liegt unter anderem daran, dass Kinder verschiedene Alters- und Entwicklungsphasen durchlaufen. Hier müssen nun vor allem verschiedene Altersarten unterschieden werden. Es gibt es chronologische Alter, also, wie viele Kerzen auf der Torte beim Geburtstag stehen.
Ebenso das so genannte skelettale Alter, das Wachstum verschiedener knöcherne Strukturen (wie gross ist das Kind?). Dann gibt es das dentale Alter, das Alter je nach Zahnentwicklungsphase (welche Zähne sind schon vorhanden?). Und schließlich auch das psychosoziale Alter, welche Reife-Phase durchläuft gerade das zu behandelnde Kind. Wir haben ebenfalls festgestellt, dass viele Entwicklungsprobleme in der Kieferorthopädie gerade dadurch entstehen, dass diese verschiedenen Entwicklungsphasen nicht so synchron und abgestimmt verlaufen, wie wir uns das eigentlich vorstellen würden. Und genau ist das Problem bei den Ratschlag: „es müssen erst alle bleibenden Zähne da sein, dann kannst du zum Kieferorthopäden gehen!“
Gibt es nämlich gerade bei der Entwicklung von Kiefer und Zähnen eine Diskrepanz, kann vielleicht möglicherweise das Kieferwachstum schon abgeschlossen sein, die bleibenden Zähne sind aber noch nicht durchgekommen. Dann hat der Kieferorthopäde nur noch eingeschränkte Möglichkeiten wachstumsbedingte Fehllagen der Kiefer zu kompensieren. Der Kiefer ist dann vielleicht zu klein für die weiteren Zähne oder die Kiefer liegen falsch zueinander und passen nicht zusammen. Diese ungünstige Situation führt dann häufig dazu, dass zum Beispiel Zähne entfernt werden müssen.
Um dies zu vermeiden – das leuchtet jetzt ein – wäre es in diesem Fall also sinnvoller gewesen, frühzeitig den Kieferorthopäden aufzusuchen. Nämlich, bevor das Wachstum der Kiefer abgeschlossen war. Manche Entwicklungen führen sogar zu so ungünstigen Wachstumsverhältnissen, dass eine spätere Behandlung nur noch extrem aufwändig und schwierig wird und sogar Operationen nötig werden können. Daher macht es durchaus Sinn, möglichst frühzeitig einen Kieferorthopäden aufzusuchen. Ein guter Zeitpunkt, den man sich auch gut merken kann, ist in der Regel das sechste Lebensjahr, beziehungsweise zur Einschulung der Kinder.
In diesem Alter kann sich der Kieferorthopäde einen ersten guten Überblick verschaffen, wie die Entwicklung der Kinder verläuft. Und dies sowohl hinsichtlich der Wachstumsentwicklung, als auch bezüglich der Zahn- und schließlich auch der Reife Entwicklung. Tatsächlich ist in den meisten Fällen jetzt noch keine Behandlung notwendig. Aber man geht zumindest auf Nummer sicher, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Behandlung verpasst wird. Sie möchten später sicher nicht sagen:“ Wären wir doch früher gekommen!“
Sollten allerdings schon ausgeprägte Abweichungen von altersentsprechenden der Kieferentwicklung vorliegen oder wurden vielleicht frühzeitig Milchzähne durch Karies oder Unfälle verloren, gibt es jetzt erste und einfache Möglichkeiten hier einzugreifen. Diese frühzeitigen Behandlungen werden in der Regel als so genannte Frühbehandlungen oder auch als interzeptive Behandlungen bezeichnet. Bei diesen wird mit einfachen Behandlungsmitteln, wie zum Beispiel losen, herausnehmbaren Zahnspangen eingegriffen. Ziel ist es, prinzipiell der Natur eine zweite Chance zu geben. Bestehende Fehler werden korrigiert, so dass dann die Natur es im weiteren verbleibenden Entwicklungsverlauf hoffentlich wieder selbst richten kann.
Die einfachste Form dieser Behandlungen kann zum Beispiel eine so genannte Platzhalter Zahnspange sein. Diese Platzhalter Zahnspange kommt zum Einsatz, wenn frühzeitig Milchzähne verloren gegangen sind oder entfernt werden mussten. Durch den frühzeitigen Zahnverlust droht ein „Aufrutschen“ der Nachbarzähne in die Lücke hinein, so dass nachfolgende bleibende Zähne keinen ausreichenden Platz für ihre Entwicklung vorfinden. Der Platzhalter hält nun die Nachbarzähne fest. Diese bleiben an ihrem ursprünglich vorgesehenen Ort stehen und nehmen dem sich in der Lücke entwickelnden bleibenden Zahn nicht den Platz. Dieser kann nun in die gewünschte Position wachsen. Eine weitere häufig durchgeführte Behandlungsform ist die Dehnung des Oberkiefers.
Auch kommt es immer wieder vor, dass zum Beispiel zwischen den oberen Frontzähnen große Lücken bestehen, so dass der Platz für die späteren Eckzähne verloren gegangen ist. Auch hier können diese Lücken geschlossen und Platz für die Eckzähne geschaffen werden. Auch dies gelingt mit herausnehmbaren Zahnspangen. Gegebenenfalls können aber auch kleinere Elemente festsitzender Zahnspangen verwendet werden.
In erster Linie werden also ausgeprägte Kieferfehlstellung, aber auch ausgeprägte Zahnfehlstellung, die eine harmonische weitere Entwicklung der Zähne und Kiefer behindern, aufgelöst und der Natur eine zweite Chance gegeben.
Warum ist es also wichtig frühzeitig den Kieferorthopäden erstmalig auf zu suchen?
Erstens: um sicherzustellen, dass nicht eine dieser oben genannten Fehlstellung vorliegt und eine günstige einfache Normalisierung verpasst wird.
Jetzt kann mit meist einfachen Mitteln späterer Schaden verhindert werden.
Und zweitens: Falls keine derartige Fehlstellung wie oben beschrieben vorliegt, kann der Kieferorthopäde zumindest schon einmal die langfristige Entwicklung abschätzen. Dies hilft dann wiederum dabei, langfristig zu planen, wann vermutlich eine Behandlung notwendig werden wird, oder ob gegebenenfalls eine spätere Behandlung schon bereits vollständig ausgeschlossen werden kann.